Planmäßige Buchführung des Wertgesetzes

23. November 2006 at 21:45

Venezuela fährt einen keynesianistischen Wirtschaftskurs, bei dem die aus dem Erdölverkauf eingenommenen Gelder unter anderem dazu genutzt werden, das Staatsvolk fit zu machen, in der Hoffnung, dass es dann auch für die Vernutzung in anderen Industrien attraktiv ist. So weit, so langweilig. Einem MLer wie Heinz Dieterich reicht das jedoch nicht aus. Nicht etwa, dass er eine Kritik an diesem Kurs formulieren würde – nein, seine Konzentration liegt darauf, diesen als Übergang zum „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ zu verklären:

Frage: Sie haben einmal geschrieben, daß eine keynesianische Wirtschaftspolitik, also etwa wie die der westeuropäischen Sozialdemokratie in den 70er Jahren, faktisch die einzige Möglichkeit ist, in Ländern wie Venezuela eine Alternative aufzubauen. Gilt das noch?

Antwort: Ja, aber es geht nicht um Keynesianismus allein. Er ist Teil einer Überlebens- und Akkumulationsstrategie, die gleichzeitig drei Aufgaben zu lösen hat: Aufbau sozialistischer Wirtschaftsformen, Verbreitung von sozialistischem Bewußtsein und lateinamerikanische Integration. Das muß parallel bewältigt werden, nicht in Etappen, wie das früher von den kommunistischen Parteien Lateinamerikas vorgeschlagen wurde – erst die bürgerliche Revolution und dann die sozialistische. Nein, das muß gleichzeitig geschehen.

Selbstverständlich kann dabei nur Unsinn herauskommen. Wozu soll es denn in einem kapitalistischen Land überhaupt noch eine bürgerliche Revolution geben? Und vor allem: Was hat diese bitte mit einer sozialistischen Revolution zu tun? Mit so einer will man den Kapitalismus schließlich abschaffen. Von daher kann diese logischer Weise nicht gleichzeitig mit einer Revolution laufen, welche den Kapitalismus zum Ziel hat. Selbst wenn das mit den Revolutionen nur metaphorisch gemeint gewesen sein sollte, und man die gleichen Ziele der Revolutionen jetzt anders erreichen wollte, würde dies übrigens an der Kritik nichts ändern. Entweder treibt man halt den Kapitalismus, oder den Sozialismus voran – beides zusammen geht nicht. Aber wenn ein keynesianistisches Kapitalismusbetreuungsprogramm als Etappe zum Sozialismus umgedeutet werden soll, muss so ein logischer Unfug wohl sein. Und damit der Stilblüten im Geiste der sozialistischen Rechtfertigung nicht genug:

Frage: Kann man davon sprechen, daß es z. B. in Venezuela Elemente einer Übergangsökonomie gibt?

Antwort: In diesem Prozeß geht es gegenwärtig noch darum, die nationalen Ressourcen zurückzugewinnen, wie z. B. Gas und Öl in Bolivien oder Öl in Venezuela. Die erste Voraussetzung ist, die Rekapitalisierung der Industrie, der Landwirtschaft, die Sozial- und Entwicklungsprogramme für die Bevölkerung zu finanzieren. Auf dieser Grundlage und auf der Grundlage von Genossenschaften sowie über das Voranschreiten des gesellschaftlichen Bewußtseins werden wir, denke ich, bereits im kommenden Jahr die ersten konkreten Übergänge sehen. Das betrifft z. B. die Einführung einer Buchhaltung, die auf dem Wert beruht, nicht auf dem Preis, und das Ausweiten der Mitbestimmung in ökonomischen Fragen. (Hervorhebung von mir; MPunkt)

Fragt sich bloß, wie man die durchschnittlich gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, also den Wert, der in einem Produkt steckt, überhaupt herausbekommen will. Noch mehr fragt sich freilich, was in einer Maßnahme, welche wohl gegen das Abweichen der Preise vom Wert gerichtet sein soll, der Übergang zum Sozialismus sein soll? Auf eine Abschaffung der Lohnarbeit und der Eigentumsordnung, welche die Leute von der Bedürfnisbefriedigung ausschließt, deutet an dieser Maßnahme schließlich nun wirklich nichts hin. Ganz im Gegenteil: Ziel der Produktion bliebe es auch dann, aus der angewendeten Arbeit der Leute soviel Mehrwert wie möglich herauszuschlagen; dafür ist es ja nun echt egal, ob man Kosten und Einnahmen in Preisen oder (wie auch immer) in Wertgrößen kalkuliert. Hauptsache, man hat mit möglichst wenig Kosten möglichst hohe Einnahmen erzielt.

Andererseits: Wer unter Sozialismus ohnehin immer nur verstanden hat, das Gleiche wie der Kapitalismus, nur krisenärmer, effizienter, planmäßiger etc. pp. zu veranstalten, der vermag in so einem Blödsinn wohl tatsächlich einen Schritt in Richtung Sozialismus zu erkennen …

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Der Wert und die VWL Veranstaltungstipp(s) LE IV

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  • 1. neoprene  |  24. November 2006 um 19:21

    Schon der erste Satz von Prof. Dieterich ist ja archetypisch:

    Alles, was nicht mehr ganz so schlimm ist, wie das, was bisher war, oder wenigstens erstmal nicht so Schlimmes erhoffen läßt, gibt damit gleichzeitig auch immer wieder blöderweise die weitere Hoffnung, daß es dann/später „leichter“ werden möge, dann aber wirklich endlich den Sozialismus anzustreben.
    Mit dieser Etappentheorie sind Dieterichs Freunde zu Freunden Pinochets (des Demokraten, ehe er Allende „überraschend“ weggeputscht hat) und Chomeinis (Auch ein „Revolutionär“ oder etwa nicht?)gewoden, nur um zwei dann doch vergleichsweise schlecht ausgegangener Entwicklungen zu erwähnen.


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