Wählen auf wertkritisch ist verkehrt

28. Dezember 2005 at 15:09

Der affirmative Turn der Wertkritischen Kommunisten Leipzig (WKL) war ja schon seit ihrer Unterzeichnung des offenen Briefs an die Linkspartei und den Auftritt ihres Vertreters bei der Diskussionsveranstaltung der Jungle World zur Linkspartei in Leipzig klar. Jetzt haben sie aber mit einem Positionspapier noch einmal nachgelegt.

In diesem wird nicht nur lang und breit ein so uninteressantes Thema das Verhältnis der Linkspartei zu Israel ausgewalzt (naja, vielleicht haben die WKLer bei ihrer Parteilichkeit für Israel sich die Logik des „geringeren Übels“, also die Parteinahme für eine unter mehreren verkehrten Alternativen mit einem ‚Immerhin‘, statt sie einfach alle zu kritisieren, eingeübt …), sondern auch noch einmal begründet, was sie sich von der Linkspartei als „geringeres Übel“ erwarten:

Doch mit oder ohne linksradikalen Segen: die Linkspartei sitzt in den glücklichen Reihen der Opposition, nicht der Regierung. Dort gibt sie sich zwar nicht systemfeindlich, doch immer noch stur. Sie wird die Große Koalition zwar nicht zu einer sozialen Politik zwingen, wie Bisky es gern hätte, kann aber wohl mit Grundsatzfragen ärgern. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Andernfalls fiele der Unmut gegen den Rückzug des Staates aus der sozialen Absicherung derer, die im Wettlauf um Arbeit auf der Strecke bleiben, unter den Tisch. Diejenigen, die Argumente gegen Hartz IV vorbringen, werden für geistig beschränkt erklärt – für unfähig, den Sinn der Reformen zu verstehen. Eine der wenigen Stimmen gegen diese üble Ignoranz kommt von der Linkspartei.

Erstmal: es stimmt tatsächlich, dass die Linkspartei sich den Unmut der anderen etablierten Parteien v.a. deshalb zuzieht, weil sie ein anderes Staatsprogramm vertritt als diese, da in diesem Sozialabbau nicht als unabdingbare Notwendigkeit vorkommt. Aber mal ganz abgesehen davon, dass da die von Sozialkürzungen Betroffenen auch nix von haben, wenn die Linkspartei sich in der Opposition mehr oder weniger auf ihre Seite stellt, versäumen die WKL auch, den nationalistischen Charakter, der notwendig immer in einem Staatsprogramm – auch einem keynesianischen – steckt, zu bestimmen. So heißt es beispielsweise im Wahlprogramm der Linkspartei:

Unser Land [sic!] braucht weiter reichende Lösungen des Beschäftigungsproblems, es braucht Zukunft durch Innovation und hochwertige Produktion. Die wichtigsten Bedingungen dafür sind gut ausgebildete Menschen, eine leistungsfähige öffentliche Infrastruktur und moderne Dienstleistungen. Für die Zukunft vorsorgen bedeutet deshalb: mehr investieren in hochwertige Bildung und Erziehungseinrichtungen, in Wissenschaft und Forschung für zukunftsfähige Technologien und Produkte, die Arbeitsplätze schaffen. Wir brauchen Investitionen, die die öffentliche Daseinsvorsorge gewährleisten und einen sozial-ökologischen Umbau voranbringen.

Deswegen ist ein umfangreiches, längerfristig angelegtes Zukunftsinvestitionsprogramm notwendig. So können wir durch politische Gestaltung Defizite des Marktes ausgleichen und den Strukturwandel zur Informations- und Wissensgesellschaft fördern.

Die Linkspartei will das Staatsvolk also nur anders für das Vorankommen Deutschlands in der Staatenkonkurrenz herannehmen. Und ausgerechnet das soll man (voll kritisch und mit Bauchschmerzen, jaja) unterstützen und das allein aus einem so sinnlosen Grund, dass sich die eher neoliberal orientierten Parteien selbst darüber noch ärgern? Das vernünftige Denken, der Versuch, einen Gegenstand richtig zu bestimmen, scheint bei soviel Willen zur Parteinahme bei den WKLern endgültig in die finale Krise geraten zu sein …

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KF – Wiederholung als Farce? Demokratie in a nutshell

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  • 1. oktoganales Seepferdchen  |  29. Dezember 2005 um 10:57

    Mit dem (Einigungs-)Parteitag der neuen Linkspartei in Dresden hat sich nun auch die „Oppositionsabstinenzphantasie“ entgültig erledigt. Denn, wer hätte das gedacht, die Linkspartei strebt spätestens in der nächsten Legislaturperiode eine Regierungsbeteiligung an. Also um in deinem rabulistischen Sprech zu bleiben: „sie will dann handfest ihr Staatsvolk für die Staatenkonkurrenz hernehmen“. Wahrscheinlich sogar mit weichgespülter keynsianischem Gelabber. Vgl. dazu auch http://jungle-world.com/seiten/2005/51/6869.php , wo die UnterstützerInnen des offenen Briefes an die Wasg auch noch mal feste abgewatscht werden.

  • 2. K  |  4. Januar 2006 um 15:05

    Die WKL verpassen noch eine weitere Leistung der Linkspartei. Ca. hundert Jahre lang hat die Sozialdemokratie den Arbeitern gepredigt, dass ihre Armut nicht notwendig ist, dass sich Arbeiterinteressen und Kapitalismus vereinbaren lassen – wenn sie die Staatsgeschäfte in die Hand nimmt. Mit dieser Ideologie ist sie leider erfolgreich gewesen. Statt die Arbeiter gegen den Kapitalismus aufzuhetzen, hat sie deren Unmut in ein SPD-Wahlprogramm übersetzt, also für den Staat vereinnahmt. Inzwischen hat die SPD ihre eigene Ideologie aus dem Verkehr gezogen. Massenhafte Verarmung ist notwendig, damit der Kapitalstandort Deutschland erfolgreich ist. Das setzt sie durch, auch wenn sie natürlich immer noch darauf besteht, dass die Armut eigentlich keine ist, wenn sie sozialdemokratisch organisiert ist.

    Und kaum regt sich im Lande (zugegeben bescheidener und untertäniger) Protest, steht schon die nächste Riege von Politikern bereit, um diese Stimmung für sich in Wählerstimmen umzumünzen. Damit ja kein Unzufriedener auf die Idee kommt, er wäre bei der Politik nicht gut aufgehoben, brühen sie die alte Ideologie wieder auf und beschwichtigen: eigentlich alles unnötig. Wer kein Geld und damit ein Problem hat, dem bieten sie eine Lösung: Linkspartei wählen! Und sie feiern es als Erfolg, dass sie den „sozial Benachteiligten eine Stimme geben“. Ein Hartz-IV-Betroffener hat nicht nur nichts davon, sondern genau das hat er: er kann sich im demokratischen Gemeinwesen gut aufgehoben wissen, weil es Politiker gibt, die sich um seine Interessen kümmern. Viel mehr kann mal als Wähler nicht erwarten. Die WKL meinen, ohne die Linkspartei wäre der Unmut unter den Tisch gefallen. Kann ja sein… Mit der Linkspartei wird er abgewiegelt, betreut und in staatsnützliche Bahnen gelenkt.


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